Thomas Martin

„Was ich heute kann, habe ich mir selbst angegessen“

Thomas Martin (57) ist seit 27 Jahren Küchendirektor in Jacobs Restaurant des Hotel Louis C. Jacob in Hamburg. Die Küche in dem 5-Sterne-Haus an der Elbchaussee hatte zehn Jahre lang zwei Michelin-Sterne, seit drei Jahren nun geht Martin mit seinem Team andere Wege. Ein Gespräch mit einem leidenschaftlichen Koch über die Leidenschaft des Kochens.

Thomas Martin „Was ich heute kann, habe ich mir selbst angegessen“

Lieber Herr Martin, was hat Sie an den Herd gebracht?
Thomas Martin: Ich bin in Mannheim aufgewachsen, meine Eltern hatten dort zunächst eine Gaststätte, später dann mit gehobener Gastronomie. Und ich bin oben drüber aufgewachsen.

Also über der Gaststätte?
Genau, über der Gaststätte, da haben wir gewohnt. Von daher bin ich schon als Kind so eng mit der Gastronomie verbunden gewesen. Schon als Kind habe bei meinen Eltern Gläser poliert, ein bisschen abgespült und mitgeholfen.

Und dann haben Ihre Eltern entschieden, dass Sie Koch werden sollen?
Nein, das war absolut keine Vorgabe von meinen Eltern. Ich habe mich selbst dafür entschieden, Koch zu werden.

Aber sicher mit der Perspektive, dann die elterliche Gaststätte zu übernehmen.
Ja, das war von vornherein irgendwie klar, dass ich das mache. Und dann habe ich eine Kochausbildung gemacht und bin dann dadurch viel auf Reisen gewesen und war dann bei vielen großen Chefs: bei Eckart Witzigmann, bei Lothar Eiermann oder Dieter L. Kaufmann …

Das war zu der Zeit, als es noch nicht so richtig viele Frauen als Küchenchefs gab, oder?
Nein, und vor allem gab es auch noch nicht so viele Restaurants, in denen so extrem gut gekocht wurde. Es gab nur einen ganz kleinen Teil Sterne-Restaurants in Deutschland, nicht wirklich viele. Und ich hatte das Glück, bei den großen Chefs lernen zu können.

Das spricht ja durchaus für Ihr Talent, jeden haben die Chefs sicher nicht ausgebildet. Was haben Sie bei den drei genannten besonderes gelernt?
Bei Witzigmann habe ich gelernt, was á la Minute bedeutet, also im letzten Moment Essen zu machen. Bei Lothar Eiermann waren es hauptsächlich die großen Bratenstücke.

Und bei Dieter Kaufmann?
Dieter Kaufmann ist ein sehr feiner, filigraner Koch. Bei ihm habe ich die Soßen gelernt. Das waren meine drei Lehrmeister damals. Lang, lang ist es her.

Wie lange waren Sie jeweils bei Ihren Lehrmeistern?
Bei Herrn Eiermann war ich zwei Jahre, bei Herrn Kaufmann war ich zweieinhalb Jahre, da war ich dann auch Sous Chef …

… also die rechte Hand und der Stellvertreter des Chefs de Cuisine.
Genau. Bei Dieter Kaufmann war ich, kurz bevor ich ins Jacob kam. Und bei Witzigmann war ich ein Jahr. Das war im „Aubergine“ in München.

Wenn Sie sagen „Lehrmeister“, dann haben die Drei Sie auch geprägt?
Zumindest für meine ersten Stilfragen, das ganz sicher. Eines war für mich von vornherein klar: die klassische, französische Küche ist mein Gebiet.

Thomas Martin: „Ein Großteil dessen, was ich heute kann, habe ich mir selbst angegessen“

Wir bewegen uns ja grad in den Jahren zwischen 1983 und 1989, das war ja damals angesagt in der Spitzengastronomie, oder?
Absolut.  Der Esprit in der Sterneküche war Französisch. Damals sind wir jungen Köche auch noch nicht nach Asien oder in die USA gereist, um Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, sondern wir blieben eigentlich in Deutschland, Österreich, der Schweiz und eben Frankreich hängen. Aber das waren meine Wanderjahre, meine Lernjahre, in denen ich viel gelernt habe und wo ich auch immer wieder selbst viel essen war. Ich sag mal so: Einen Großteil von dem, was ich heute kann, habe ich selbst mir angegessen.

Spannend. Das habe ich bislang nur von Sommeliers gehört.
Da ist es genauso. Wenn du einen guten Sommelier fragst, wo und wie er am meisten gelernt hat, wird er sagen: durchs Weintrinken. Generell gilt: Du musst viel probieren und du musst als Koch nicht nur viel auf dem eigenen Teller probieren, sondern du musst als Koch auch viel essen gehen, sozusagen das gesamte Paket kennenlernen.

Sie sehen andere Restaurants somit aus der Sicht des Gastes.
Genau. Für mich als Gast ist es ja nicht nur wichtig, was auf dem Teller oder was im Glas ist, sondern auch, wie die Stimmung im Restaurant und wie der Service ist. Das habe ich eigentlich schon relativ früh begriffen und das hat mir später auch geholfen, als ich dann Küchenchef in Jacobs Restaurant des Hotels Louis C. Jacob wurde.

Haben Sie direkt als Küchenchef im Louis C. Jacob hier angefangen?
Ja. Das war 1997, ich war 31 Jahre alt. Ich war damals ein bisschen schüchtern und zurückhaltend, als ich in dieses Traditionshotel kam.

Hat sich das geändert?
Nicht wesentlich. Ich würde mich selbst als ein eher sehr ruhiger, bodenständiger Typ bezeichnen. Zurückhaltend, eher introvertiert als extrovertiert.

Alles Dinge, die man nicht unbedingt mit einem Küchenchef verbindet. Es herrscht ja die langläufige Meinung, dass in der Küche viel geschrien wird. Die Chefs sind laut und ruppig, der Umgang miteinander ist sehr rustikal.

Ich war immer eher der Ruhigere. Deswegen bin ich auch Koch geworden. Ich wollte ja nicht so viel mit anderen Menschen zu tun haben. Ich wollte sozusagen hinter der Tür kochen. Und dann wirst du Küchenchef in Jacobs Restaurant und bist in diesem wunderschönen Restaurant, in das ich mich sofort verliebt habe, als ich damals hierherkam.

Ich vermute, dass es dann vorbei war mit dem „hinter der Tür kochen“.
Ja, hier war Gästekontakt ausdrücklich erwünscht und das war nicht so ganz mein Fachgebiet – damals habe ich noch sehr mit Mannheimer Dialekt gesprochen und alle anderen hochdeutsch.  
Somit ist mir das in den ersten Jahren nicht so leicht gefallen.

Das hat sich völlig geändert, zumindest sprechen Sie keinen Dialekt mehr.
Das stimmt (lacht). Allerdings hat sich auch der Kochberuf im Laufe der Jahre völlig geändert. Heute muss man als Küchenchef viel kommunikativer sein. Da habe mich auch weiterentwickelt.

War das schwer? Auf Menschen zugehen ist ja eher eine Wesenssache, und weniger etwas, was man lernen kann.
Nein, es war nicht so schwer, weil ich gemerkt habe, die Gäste möchten gerne hören, was ich sage. Und es macht mir auch Freude, zu erzählen, wie ich etwas koche und wie ich mich dabei fühle. Und deswegen habe ich mich da geöffnet und bin viel zugänglicher geworden.

„Du freust dich ja wie ein Schneekönig, wenn du einen Stern bekommst!“

Sie sagen von sich, dass Sie ein leidenschaftlicher Koch sind. Wie wichtig ist für einen leidenschaftlichen Koch ein Sternekoch zu sein?
Als ich hier im Louis C. Jacob anfing, war es eine Art von Vorgabe. Es war klar, dass wir hier Sterne erkochen wollen.

Das war der Arbeitsauftrag?
Das war der Arbeitsauftrag, ja. Und 2001 kam dann der erste Michelin-Stern.

Wie war die Küche des Jacobs Restaurants, bevor Sie hier in die Verantwortung kamen?
Das Jacobs Restaurant war, als ich anfing, ein gehobenes, gutbürgerliches Restaurant. Das hat nicht mehr zur neuen Ausrichtung gepasst und so hat man mit mir jemanden dann geholt, der schon mit verschiedenen Sternenköchen gearbeitet hatte.

Wie war das Gefühl, als Sie den ersten Michelin-Stern bekamen?
Ganz ehrlich? Du freust dich ja wie ein Schneekönig, wenn du einen Stern bekommst. Und als dann der zweite Stern kam, zehn Jahre danach, da habe ich mich auch sehr gefreut.

Waren Sie da am Ziel Ihrer Träume?
Nein, geträumt habe ich davon nie. Natürlich ist das eine Bestätigung für dich und dein Team und es schmeichelt auch dem Ego. Aber letzten Endes ging es mir eigentlich immer nur um den Teller und um die Zufriedenheit der Gäste und damit auch um meine eigene Zufriedenheit. Wenn ich Menschen sehe, die ich im Rahmen meiner Möglichkeiten glücklich gemacht habe, bin ich sehr zufrieden. Das hat mich mehr begeistert als die Auszeichnungen, die ich bekommen habe.

Und das waren nicht wenige, wenn ich aufzählen darf: Koch des Jahres im Gault Millau 2002 …
… das war zugegeben etwas ganz Tolles. Und die Feier zur Preisverleihung war auch großartig.

… 2 Sterne im Guide Michelin, 4 Diamanten im Varta, 4 Kochlöffel im Aral Schlemmer Atlas, 4,5 Hauben im Bertelsmann, 18 Punkte im Gault Millau, 4 FFFF im Feinschmecker … ich könnte noch eine Weile weitermachen.
Ja, alles großartige Auszeichnungen, auf die ich stolz bin. Aber letzten Endes war das dann ein paar Wochen später wieder vergessen. Aber meine wahre Befriedigung ist es, etwas Schönes zu kochen und Gäste glücklich zu machen. Das ist das, was mir auch weiterhin große Freude macht und was meinen Beruf auch ausmacht.

Dauerhaftes Kochen auf Sternenniveau führt doch bestimmt zu einer ganz besonderen Drucksituation in der Küche, könnte ich mir vorstellen.
Das stimmt. In den ersten Jahren ging es schon ziemlich zur Sache. Damals hatte ich sehr viel Power, wollte alles selbst machen und habe meinen jungen Kollegen nicht so viel zugetraut. Ich war sicher, dass nur ich das kann. Dazu war ich ungeduldig und laut.

Schwer vorstellbar, wenn man Sie so erlebt.
Doch, das war so. Das waren die ersten Jahre und im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass es der richtige Weg ist, zu delegieren, mit dem Team enger zusammenarbeiten und die Mitarbeiter mehr einzubinden. Und in den letzten 15 Jahre arbeite ich harmonisch mit meinem Team und fördere die jungen Leute. Und daran habe ich unheimlich viel Freude. Und das Ergebnis zeigt sich auf dem Teller.

Nun hat sich das Jacobs Restaurant vor vier Jahren entschieden, nicht mehr für einen Stern zu kochen. Glauben Sie, dass man ohne diesen „Sternedruck“ kreativer in der Küche arbeiten kann?
Ja, es ist schon ein bisschen losgelöster und freier. Wir haben uns in der Corona-Pandemie ganz bewusst dafür entschieden, dass wir andere Wege gehen wollen.

Was wurde geändert?
Wir haben das eine oder andere reduziert, etwas vereinfacht. Mein Stil ist aber immer noch der gleiche, da bin ich mir treu geblieben. Aber wir haben jetzt beispielsweise kein zweites AmuseGueule mehr und auch kein weiteres Vor-Dessert, das haben wir alles runtergefahren. Aber wer weiß, vielleicht leuchtet irgendwann wieder im Jacob ein Stern, aber das wäre eher unbewusst und nicht angestrebt.