Gänsehaut am Ende der Welt: Die Marquesas

Mysteriöse Inseln in den Weiten des Südpazifiks, so spukten die Marquesas in meiner Jugend im Kopf herum. Es waren die ersten Inseln, auf denen polynesische Seenomaden Fuß fassten. Dank Berichten von James Cook und Thor Heyerdahl, Geschichten von Jack London und Herman Melville nahmen sie für mich als Kapitänstochter im Kopf Gestalt an. Die farbenfrohen Gemälde von Paul Gauguin malten sie aus. Der Archipel wurde zum entlegensten Ziel meiner Träume.

Gänsehaut am Ende der Welt: Die Marquesas

Mit der zweiwöchigen Kreuzfahrt auf MS „Aranui 5“, 2015 gebaut, ging der Traum endlich in Erfüllung. Zugegeben, die Outline des Schiffes spricht nicht unbedingt von Eleganz. Es ist Kreuzfahrt- und Frachtschiff in einem und dient zudem als Fähre für die Einheimischen von Französisch-Polynesien. Die 103 Kabinen sind komfortabel, doch frei von jeglichem Glamour. Über das Essen gibt‘s nichts zu meckern. Es ist abwechslungsreich und köstlich und wird jeweils von einem himmlischen Dessert gekrönt. Anstatt Luxus und Food-Verschwendung offeriert die Aranui nämlich eine einzigartige Dimension. Bis auf den französischen Kapitän, den deutschen Guide und englischsprachige Lektoren besteht die gesamte Crew aus Locals – das heißt, ich erlebe auf dem 2.200-Seemeilen-Törn bereits an Bord polynesische Kultur. Es sind warmherzige und fröhliche Menschen, die einen super Service leisten. Zudem platzen sie fast vor lauter Musikalität, denn irgendwo auf dem Schiff hocken meist ein paar Männer zusammen, die nach getaner Arbeit zur Gitarre greifen und berührende Lieder singen. Abends entwickelt sich schon mal eine Pop-up Party auf dem Pool Deck, mit Trommelwirbel und Tamuré. So heißt der traditionelle Tanz polynesischer Frauen. James Cook beschrieb ihn in seinem Logbuch ob der lasziven Hüftschwünge als höchst unschicklich. Ich staune über die unglaubliche und rasante Beweglichkeit der Damen. Und übe. Im Laufe der Fahrt werden nämlich täglich Tanz-Sessions angeboten.

Eine Tanzshow an Land beschert mir echte Gänsehaut. Allein der Inselname klingt in meinen Ohren geheimnisvoll: Nuku Hiva. Das Panorama bei der Anfahrt ist nicht nur märchenhaft spektakulär, es verheißt Ursprünglichkeit. Aus dichtem Grün recken sich bizarre Felsengipfel. Die Dramatik wächst, als wir durch tropfnassen Tropenwald zu einem Moos überwucherten Kultplatz marschieren. Haben die alten Polynesier ihren Göttern hier Menschenopfer dargebracht? Hermann Melville, von einem Walfänger desertiert, schrieb von Kannibalen, denen er hier begegnet war. Das Gruselfeeling wird durch eindringliches Trommel-Stakkato erhöht. Und plötzlich stehen sie da, die Krieger, die eingeölten Körper halbnackt. Ihr rhythmisches Stampfen erschüttert den Boden. Das Klatschen auf Oberschenkel, wildschweinartiges Grunzen dazu, klingt furchterregend: ein Haka, der rituelle Tanz, mit dem heutzutage das Maori Rugby Team Neuseelands den Gegner einschüchtern will. Vielleicht wurde er hier geboren. Hermann Melville verewigte die Abenteuer auf Nuku Hiva in seinem Debüt „Typee“. Darin zeichnet der amerikanische Schriftsteller auch Essensgewohnheiten der Indigenen auf. Wie sie Brotfrüchte mit abgeflachtem Stößel zum dicken Brei zerquetschen und Schweinefleisch, Taro und Süßkartoffeln im Erdofen garen. Auf der Insel Ua Huka wird für uns Aranui-Gäste so ein Schmaus zubereitet. Wie unter Polynesiern bis heute Usus essen wir mit Fingern. Wenn schon auf den Spuren alter Gebräuche, dann richtig. Tama’a Maitai – Guten Appetit.

Paul Gauguins Südsee-Motive entdecke ich auf Hiva Oa. Es scheint, als ob die Zeit auch hier stehengeblieben ist. Frauen tragen im täglichen Leben bunte Pareos und gern einen Blumenkranz auf dem Kopf, alternativ eine Blüte am Ohr. Von uralten Bäumen baumeln Mangos oder Brotfrüchte. Auf Hiva Oa hat der Maler die letzten 20 Monate seines schaffensreichen und turbulenten Lebens