Anselm Skogstad

„Es geht nur um den Duft. Entweder er gefällt dir oder eben nicht!“

Der Helmholtzplatz, von den Nachbarn und Anwohner meistens liebevoll „Helmi“ genannt, befindet sich im Herzen des Prenzlauer Berg des Bezirks Pankow von Berlin. Er bildet den zentralen Platz des Helmholtz-Kiezes. In einem der zahlreichen Cafés erwartet uns Anselm Skogstad zum Interview. Skogstad ist Fotojournalist, diese Passion lässt er aber seit ein paar Jahren ruhen. Vor vier Jahren hat er eine Parfum-Marke gegründet und ist seitdem in der Welt der Düfte unterwegs. Bevor wir mit unserem Gespräch anfangen, verständigen wir uns schnell aufs „Du“. Dann erzählt Anselm Skogstad, der deutsch-amerikanische Wurzeln hat seine Geschichte. Die Geschichte von einem, der seine Leidenschaften zum Beruf machte.

Anselm Skogstad: Es geht nur um den Duft.

Lieber Anselm, erzählst du uns etwas über deinen Weg zur Marke DER DUFT?

Anselm Skogstad: Da muss ich etwas ausholen. Ich bin in Starnberg bei München geboren und dort auch aufgewachsen. Als Teenager bin ich dann nach England gezogen und bin dort dann auch zur Schule gegangen – und da habe mich dann in das Thema Fotografie verliebt.

Von der Fotografie zur Kreation von feinen Düften scheint ein langer Weg …

Nicht unbedingt. Damals jedenfalls war mir klar, dass ich etwas mit Fotografie beziehungsweise generell etwas mit Kunst machen möchte. Ich habe schnell gemerkt, dass die Fotografie das ist, was mich am meisten motiviert, inspiriert und mir am meisten Spaß macht. Entsprechend habe ich mich in Richtung Kunst und Fotojournalismus bewegt.

Was genau bedeutet „bewegt“?

Ich bin dann für zehn Jahre nach New York, wo ich unter anderem am International Center of Photography, Fotojournalismus gelernt habe.



Ist das ein Studiengang?


Das ICP ist eine Schule, die sich auf Fotografie, aber eben speziell auf Fotojournalismus, spezialisiert hat. Und im Rahmen dieser Ausbildung habe ich dann diverse Reportagen gemacht, was extrem spannend war. Dort habe ich, eher nebenbei auch, ich nenne es mal, künstlerisch abstrakte Fotografie mit Begeisterung verfolgt: Überbelichtung und Tiefenschärfe, Dinge mit Licht und Formen, Architektur und Stillleben. Da habe ich viel experimentiert und ausprobiert.

Du sagtest gerade: „diverse Reportagen“ – hast Du ein Beispiel?

Ja. Eine Aufgabe war, auf der Straße, mitten in der realen Welt also, jemand Fremden – also nicht den Nachbarn oder Freund des Nachbarn oder jemanden der entfernter Bekannter ist – anzusprechen und dessen oder deren Vertrauen so weit zu gewinnen, dass der einen mit zu sich nach Hause nimmt und man dann von ihm oder ihr in ihre privaten Räumen ein Porträt macht.

Spannend. Die Person muss sich Dir dann ja auch ziemlich öffnen, dass man das später auch auf den Bildern sehen kann.
Auch das, natürlich. Das ist tatsächlich nicht so ganz ohne, aber ich fand das total irre. In dem Kurs gab es noch ein anderes Seminar, die Aufgabe war ähnlich außergewöhnlich: Wir haben innerhalb der Klasse Teams gebildet und mussten von uns gegenseitig Bilder machen – und zwar nackt!

Du meinst buchstäblich nackt und nicht im Sinne der Metapher „sich vor der Kamera nackt machen“, also eine Seelen-Striptease machen?

Ja, richtig nackt. Und jeder hat jeden fotografiert bzw. gesehen und dann am Ende eben auch die Bilder beurteilt.

Also die ganze Klasse hat sich einmal im nackten Zustand gesehen. Haben alle mitgemacht?

Es blieb uns nichts anderes übrig. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, so etwas zu machen, damit man hinter der Linse auch weiß, wie verletzlich sich das eigene Motiv fühlen kann. Und dies, wenn man beispielsweise von ihm oder ihr persönliche Portraits machen möchte.

Es geht ums Gefühl.

Richtig. Beide Aufgaben haben damit zu tun, wie man sich vor der Kamera fühlt oder auch, wie nackt man sich vor der Kamera fühlen kann – und zwar unabhängig davon, ob man angezogen ist oder nicht.

Nach Deiner Ausbildung am ICP hast Du dann angefangen, als Fotograf zu arbeiten?

Nein, ich bin danach auch noch für ein Jahr am San Francisco Art Institute gewesen. Das ist, oder richtigerweise war, eine der ältesten und renommiertesten Hochschulen für zeitgenössische Kunst.

War?

Ja, vor zwei Jahren wurde das SFAI geschlossen. Es war eine private Hochschule, wegen Missmanagement musste sie zumachen. Unter anderem haben dort Künstler wie der Fotograf Ansel Adams unterrichtet. Und auch Annie Leibovitz war dort einmal Studentin.

Da ging es aber dann in der Hauptsache um Fotografie?

Genau, für mich ging es da um Fotografie, der Schwerpunkt des Art Institut lag aber auf der Kunst.
Die San Francisco Geschichte war eine Unterbrechung. Ich war fünf Jahre in New York, bin dann für ein Jahr nach San Francisco und dann wieder zurück nach New York für weitere fünf Jahre.

Wie ging es für Dich in New York weiter, nachdem Du aus San Francisco wieder zurückkamst?

Ich habe angefangen, meine fotojournalistischen Projekte umzusetzen. Dafür habe ich mit verschiedenen Medizinern und Ärzten zusammengearbeitet. Ich wollte Sachen machen, bei denen der Mensch im Vordergrund steht, allerdings mit Schwerpunkt auf medizinischen Themen.



Du wolltest mit kranken Mensch arbeiten?


Es ging zum Beispiel um Kinder mit seltenen Erkrankungen. Dazu bin über eine Stiftung aus München gekommen, für die ich dann gearbeitet habe und für die ich auch viel international gereist bin. Diese Kinder leiden an ganz seltenen Immunerkrankungen, die so lebensbedrohlich sind, dass sie zum Teil für eine Weile wie in einem Glaskasten leben müssen, weil es ansonsten zu gefährlich für sie ist.

Ist es nicht extrem belastend, so etwas zu dokumentieren?

Ja, das war teilweise schon sehr hart, keine Frage. Das ging mir schon auch oft sehr nah. Aber es gab sehr schöne, erfolgreiche Geschichten, die da entstanden sind. Es war nicht nur alles schrecklich, aber in der Mehrzahl waren es eben Intensivstationen und Kinder, bei denen nicht klar war, ob sie mit der Krankheit durchkommen.

Welche Geschichten sind Dir besonders in Erinnerung geblieben?

Tatsächlich sehr viele. Besonders aber die aus einer psychiatrischen Klinik in Äthiopien. Da habe ich mit der Ludwig-Maximilians-Universität aus München zusammengearbeitet, die Universität, die mit der Uni in Jimma in Äthiopien kollaborierte. Das hat mich sehr gereizt. Ich wollte erfahren, wie das Thema „Mensch“ und „psychiatrische Kliniken“ funktioniert, insbesondere in einem Land wie Äthiopien.

Das ist vermutlich für uns in Mitteleuropa nicht vorstellbar, wie man dort mit solchen Themen umgeht – insbesondere mit Blick auf die Möglichkeiten, die dort vorhanden sind, finanziell und strukturell.

Ganz genau. Es ist so, dass die Patienten, die dort in der Klinik sind, die Glücklichen sind – also glücklich im Sinne von: die bekommen Hilfe und wirklich dieselben Medikamente, die wir hier bekommen würden. Anderen ergeht es leider nicht so gut, um es ganz vorsichtig auszudrücken. Ich habe meinen Fokus auf die Klinik gelegt und habe die Patienten porträtiert und so auch kennengelernt – zum Teil mit einem Dolmetscher, zum Teil konnten sie ein bisschen Englisch. Und das war für mich eine ganz besondere Erfahrung.

Wie kommt man von einer Reportage über Patienten in einer psychiatrischen Klinik in Äthiopien auf die Idee, Düfte zu kreieren? Das sind ja buchstäblich zwei völlig verschiedene Welten.

Irgendwann war die Zeit dafür reif. Das Thema Parfum hatte mich schon immer fasziniert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass praktisch jeder, der über Parfum spricht, sagt, dass er schon als Jugendlicher mit Parfum zu tun hatte.

Oder Patrick Süskind gelesen hat.

Oder Patrick Süskind gelesen hat. Bei mir jedenfalls war das Thema sehr präsent in meiner Jugendzeit. Ich habe verschiedene Düfte gesammelt …

Anselm Skogstad: Es geht nur um den Duft.

…haben wir das nicht alle? Wir haben die Flakons im Badezimmer so hingestellt, dass jeder sie sehen konnte.

Ja, genau. Das habe ich auch viele Jahre gemacht. Da standen diese kleinen Flakons alle aufgereiht nebeneinander und jeder, der ins Badezimmer kam, sagte: „Oh, hier wohnt ein Mann von Welt“. — Nein, nein, ganz so war es nicht!

Ja, so war das damals, daran erinnere ich mich auch noch sehr gut. Bei mir hat es dann irgendwann aufgehört, bei Dir war es augenscheinlich anders?

Vielleicht, aber ich habe nie ernsthaft überlegt, mit dem Thema später etwas beruflich anzufangen. Und wenn ich ehrlich bin, finde ich es auch sehr abwegig.

Inwiefern abwegig?

Weil ich mir vorstellte, dass man Dinge mischen muss. Und das klingt für mich nach Labor, Labor klingt für mich nach irgendwas mit Chemie – und das war mein Hassfach in der Schule. Aber ich fand die Firmen spannend, die Parfums herstellten, die Flacons, die Namen, die Geschichten. Und dann besuchte ich einen sehr guten Freund in Hongkong.

Und der hat dich inspiriert?

Vielleicht war das so, ja. Ich denke, mein Freund kennt sich besser mit Parfums aus, als ich es je tun werde. Ein absoluter Kenner. Ein leidenschaftlicher Sammler und Duftanalytiker. Der ist so tief in dem Thema und weiß ganz genau was passiert, in der Welt der Düfte.

Ich finde so etwas faszinierend, wenn Leute so sehr in ein Spezialthema versinken.

Absolut, das finde ich auch. Und mein Freund gab dann quasi den Anstoß, auch so etwas zu machen – professionell mit dem Thema Parfum sogar Geld zu verdienen.

Wie ging es weiter?

Ich dachte, okay, jetzt möchte ich das Thema genauer unter die Lupe nehmen und bin nach Grasse gefahren …

…der Parfumstadt in der Provence.

… genau dahin und da habe ich verschiedene Kurse belegt und mir das, sozusagen chemiemäßig erklären lassen, Ein Tröpfchen hier, ein Tröpfchen da usw.

Chemie? War da nicht was? Stichwort: Hassfach?

Ja, Grasse war eine prima Erfahrung, die mir aber tatsächlich gezeigt hat, dass ich eben nicht so der Chemiker bin und dass dieses rein laborhafte kreieren von Formeln definitiv nicht meins ist. Da habe ich für mich entschieden, das es in meinem Falle spannend wäre, eine Marke ins Leben zu bringen, die ich ansprechend finde und die mir eine Möglichkeit gibt, mit anderen Parfumeuren zusammenzuarbeiten. Ich sehe mich übrigens selbst nicht per se als Parfumeur …

Aber Du hast doch auch schon einen eigenen Duft kreiert, der bei DER DUFT erschienen ist.

Ja, das stimmt und ich sage auch nicht, dass ich das nicht kann, aber ich sehe mich eher als Parfum Creator oder Creative Director, der mit Parfumeuren zusammenarbeitet. Ich übernehme die Regie und dirigiere, wenn man so will. Es ist eine Zusammenarbeit mit verschiedensten Parfumeuren, die ein Geben und Nehmen ist. Der Begriff “Parfumeur” ist sehr breit und lässt grossen Raum für Definition.

Anselm Skogstad: Es geht nur um den Duft.

Spannend. Wo trifft man eigentlich Parfumeure, die für einen Düfte kreieren sollen? Instagram? Google?

Es kommt darauf an. Es gibt Parfummessen, auf denen sich die Marken präsentieren – und das sind unfassbar viele. Der Markt für Parfums ist explodiert in den letzten Jahren. Es gibt so viele Marken, die jede Woche auf den Markt kommen und dann aber genauso schnell auch wieder weg sind. Auf diesen Messen trifft man Parfumeure, aber natürlich auch durch Kontakte.

Wie hast Du die für Dich interessanten Parfumeure ausgesucht? Gab es bestimmte Kriterien, die zu erfüllen waren oder bist Du buchstäblich der Nase nach gegangen: Der Duft gefällt mir, den Macher spreche ich an?

Es waren meistens Empfehlungen. Freunde und Bekannte, die sich mit Parfum auskennen, haben mir Tipps gegeben und mir Referenzen gegeben, von denen sie meinten, dass das etwas für mich sein könnte. Und dann habe ich versucht, die Person zu kontaktieren, um herauszufinden, ob der oder diejenige Interesse hat, mit mir für DER DUFT zusammen zu erarbeiten.

Der oder die sagt dann zu. Wie geht es weiter? Der nächster Schritt ist dann, dass Du sagst: „Ich hätte gern etwas, was nach Vanille riecht?“

Nein, Ich lasse den Parfumeuren immer sehr viel Freiheit und gebe nur eine gewisse Richtung vor, beispielsweise, dass es etwas Florales sein soll. Mein Ansatz ist, dass sie erstmal machen und mir verschiedene Entwürfe schicken.

Kleine Fläschchen?

Kleine Fläschchen, genau.

Und davon wird es dann einer?

Nein. Es werden dann Änderungswünsche besprochen und so entsteht die Basis für den folgenden abgeänderten Entwurf. Diesen schickt mir der Parfumeur dann erneut zu. Dieser Prozess kann sich dann auch ein paarmal wiederholen bis der Duft uns beiden zusagt und final ist.

Ich stelle mir das extrem kompliziert vor. Du musst ja versuchen, in deiner Subjektivität irgendetwas zu kreieren, wo du das Gefühl hast, das gefällt nicht nur dir, sondern vorzugsweise einer Million anderen Menschen.

Genau. Und das ist eben das Verrückte mit dem Thema Parfum. Es ist so subjektiv und deswegen auch so komplex und schwierig.

Wie lange dauert so ein Prozess von der ersten Probe bis Abstimmung in der Regel?

Schwer zu sagen. Ich habe da keine Eile. Am Anfang war mein Plan zwei Düfte pro Jahr, herauszubringen, jetzt bin ich dabei zu sagen, es kommt maximal ein Duft pro Jahr raus. Mir ist es lieber, der Parfumeur lässt sich Zeit und macht was Hervorragendes, die Kommunikation stimmt und die Zusammenarbeit macht Spaß, als dass ich da mit der Peitsche stehe und sage: Mach schneller, wir brauchen den Duft bis dann und dann.

Deine Firma gibt es seit 2020 und heißt „DER DUFT“. Das ist ein sehr sachlicher Name.

Ja. Konzentration auf das Wesentliche, nämlich den Duft. Meine Absicht dahinter ist, dass jedes Parfum, jeder Duft für die Person, die ihn trägt, seine eigene Geschichte und Assoziation schafft.

Dazu kommt, dass die Flakons alle identisch aussehen und sich nur durch ihren Namen unterscheiden

Ganz genau. Man hätte sie auch einfach durchnummerieren können.

Aber Du hast Dich für Namen entschieden: Monopteros, Match, Pride, Privilege, Act, Canvas, Cinematic und In Flagranti. Was hat es mit diesen Namen auf sich?

Sag Du es mir. Nimm mal das Beispiel Monopteros. Was fällt Dir dazu ein?

München, „Englischer Garten“. Der Tempel.

Du kennst also den Monopteros im Englischen Garten?

Ich habe lange in München gelebt.

Dann hast Du also ein Bild vor Augen, vielleicht Erinnerungen, Geschichten. Vielleicht auch einen Geruch dazu. So kannst Du Dir Deine ganz eigene Geschichte zu dem Duft machen. Und das gilt auch für Match, Privilege oder Pride. Das ist quasi die Brücke. Über den Namen zum Duft und zu einer Geschichte. Und andersrum.

Das heißt, bei Deiner Marke DER DUFT steht eben genau dieser im Mittelpunkt. Kein Ablenken durch einen besonderen Flakon, keine erfundene Geschichte, nur die Konzentration auf den Inhalt.

Genau das ist mein Ansatz, vielleicht auch mein Wunschdenken. Es geht einzig und allein um den Duft. Es geht nicht um mich, nicht, um die Person, die den Duft kreiert hat, sondern letztendlich ist es ein Produkt, das „Der Duft“ heißt und da ist ein Duft drin. Und entweder es gefällt dir oder es gefällt dir nicht.

www.derduft.com