Im Teehimmel von Sri Lanka

Knack, die Wirbelsäule meldet sich beim Aufrichten. Ratsch, ein stahlharter Ast des knorrigen Strauchs bohrt sich durch die Hose ins Knie. Teeblätter pflücken ist Knochenarbeit. Zumindest für mich. Die tamilischen Pflückerinnen neben mir lächeln und zupfen flink weiter: Two leaves, one bud. Zwei Blätter, eine Knospe. Aus der handverlesenen Ernte wird sich ein Premium Tee entwickeln. Ein Ceylon Tea. Für die zierlichen Frauen sind Kronen der Sträucher auf ihre Größe getrimmt. Sie stehen beim Pflücken aufrecht, ich muss mich bücken und hab kaum Augen für die hinreißende Szenerie im Hochland von Sri Lanka. Die Sträucher reihen sich In verstrickten Spalieren. Über Terrassen eng zusammengerückt erscheinen sie wie ein grünes Meer, das sich in parallelen Wogen unterhalb dramatischer Felstürme ins Tal ergießt.

Im Teehimmel von Sri Lanka

12 Leute für 1800 Gramm Tee

Unsere Reisegruppe bewegt sich mittendrin. Jeder trägt einen wuchtigen Korb auf dem Rücken. Der Trageriemen klebt wie eine Trense über der verschwitzten Stirn. Die Luft umhüllt uns feucht und schwül. Doch wer wollte vor den einheimischen Pflückerinnen aufgeben? Weitermachen – two leaves, one bud. Die jungen Blättchen sind federleicht, immerhin bringen sie Volumen – jedenfalls in meiner Vorstellung. Umso größer die Verblüffung, als wir nach einer Stunde Zupfen das Resultat in Augenschein nehmen. Die gesamte Ernte unseres 12-köpfigen Teams ergibt gerade mal 1800 Gramm und bedeckt in einem einzigen Korb nur Handhoch den Boden. Nun ja, als Erntehelfer sind wir offensichtlich nicht tauglich. Denn allein für ein Kilogramm hochwertigen Tee braucht man die vierfache Menge. Die Locals indes schaffen pro Person um die 20 Kilo am Tag. Ich erinnere mich an eine Weinlese auf Steilhängen an der Mosel. Dort war mein Output deutlich brauchbarer.

Tee Ronnefeldt lud ein

Teehaus Ronnefeldt hatte die Reise eingefädelt, Anlass war Lehrgang und Prüfung zum TeaMaster® Gold. Ich strebte zwar nicht nach höchsten Lorbeeren, doch Ronnefeldts Seminarleiter Bernhard Lotz nahm mich trotzdem mit. Als eingefleischte Tee-Liebhaberin kann es nicht schaden, so dachte ich mir, mal tief in Anbau, Ernte und Produktion des Premium Ceylon Teas zu tauchen. Was, siehe oben, wörtlich zu nehmen ist. Schon mal vorab: Die Prüfung nach einer Woche Lehrgang ist eine wahre Challenge. Die Teilnehmer müssen über Anbau, Qualitäten und Produktionsweisen Bescheid wissen. Und nicht zuletzt die perfekte Zubereitung des duftenden Trunks draufhaben. Mit der Urkunde in der Hand sind sie zertifizierte Tee-Sommeliers, können ihre Expertise am heimatlichen Arbeitsplatz einbringen. Beispielsweise in Restaurants von internationalen Tophotels, die Ronnefeldt mit seiner umfangreichen Kollektion beliefert.

1867: Der erste Teestrauch wird gepflanzt

Auf dem Top sind wir jetzt ebenfalls. Unser Bus hat sich nach Nuwara Eliya hinaufgeschraubt. Früher war das Städtchen Zufluchtsort britischer Kolonialherren, wenn ihnen an der Küste vor Hitze der Kopf brummte. Golfplatz, Pferderennbahn und Polofeld sind Relikte aus der Epoche, als Sri Lanka noch Ceylon hieß und in Hochland die Geschichte vom British Ceylon Tea schrieb. 1867 pflanzte der junge Schotte James Taylor die ersten Teesträucher. Als Ersatz für Kaffeebäume, denn ein Rostpilz hatte die Plantagen komplett ausradiert. Wir lernen: heutzutage umfasst das gesamte Anbaugebiet knapp 3000 Quadratkilometer. Und, die feinsten Qualitäten bescheren nur Blätter, die in nebelreicher Höhe zwischen 1500 und 2200 Metern wachsen. Wie Ronnefeldts „Uva Highland“. Die kühlen Schwaden umgarnen die Pflanzungen und sorgen für Frische und Feuchtigkeit der Gewächse. Ich bin erstaunt, was im tropischen Hochland noch so alles wächst. Abgesehen von üppigem Regenwald reifen In stillen Tälern vielerlei Gemüse. Zwiebeln, Kohl, Rüben und Kartoffeln dabei. Das Gebirgsklima kommt also nicht nur dem Tee zugute.

Lipton’s Seat & Dambatenne Tea Factory

Nächstes Ziel: „Lipton’s Seat“. Auf der Strecke braucht man gute Nerven. Die Straße ist schmal und schlängelt sich steil in engen Kurven bergan. Namensgeber war Sir Thomas Jonathan Lipton, Gründer des wohl berühmtesten Teelabels auf unserem Planeten. Doch bevor wir seinen Sitz erobern, besuchen wir die Dambatenne Tea Factory. Das monumentale Holzbauwerk dürfte sich seit Liptons Zeit vor 130 Jahren nicht verändert haben. Auch die Maschinerie trägt Geschichte auf dem Buckel. Wobei Handarbeit einen geraumen Teil der Produktion ausmacht. Die schonende Verarbeitung der Ernte ergibt feinste Qualität. Keine Rede also von dem Gebräu, das heutzutage dem Staub der Lipton’s Beutel entfließt. Allein der wunderbare Duft der welkenden Blätter versetzt mich in den Teehimmel. Sie liegen zuhauf in großen Trögen und müssen regelmäßig umgewälzt werden. Ich greife mit beiden Armen hinein und lasse sie wie Federn fliegen. Nach der Trocknung werden die Blätter sorgsam in Trommeln gerollt und ruhen anschließend zur Fermentation. Erst in dieser Phase entwickeln sie ihr typisches Aroma.
Gern hätte ich eine Thermosflasche heißen Tee in die Tasche gesteckt. Denn als wir den Aussichtspunkt schließlich erreichen, auf den Sir Thomas einst täglich kraxelte, schlägt das Wetter um. Eben noch freie Sicht auf atemberaubendes Gebirgspanorama, dann wabert in den letzten Sonnenstrahlen goldener Nebel um den Gipfel. Und von einer Minute auf die andere kriecht bittere Kälte in die Knochen. Würde ich mich jetzt lieber in den tropisch heißen Strandgefilden Sri Lankas aalen? Nein, derlei Vergnügen kann warten.